Niedekens BAP rocken wieder - trotz Sitzplätzen

Ja, ich gebe es zu: ich hatte so meine Bedenken als die 40 Jahre-Jubiläumstour angekündigt wurde: die beliebtesten Lieder, also eine Greatest Hits Tour, bei der das Publikum auf Sitzplätze "verbannt" wird? Dazu mit Ulrich "Ulle" Rode ein "neuer" Gitarrist, der zwar auf der Unplugged Tour 2014 durchaus zu begeistern wusste, den ich aber im Rock-Kontext noch nicht erleben durfte: ich ging also mit zwiespältigen Gefühlen in der Karlsruher Schwarzwaldhalle, die nach dem Wegfall der Europahalle als Konzertarena wegen der schlechten Akustik nun auch nicht gerade zu meinen Lieblingskonzerthallen gehört.

Erste positives Signal schon vor Konzertbeginn: die Bühne mit einem Hintergrund aus großen Videowürfeln, auf die verschieden Cover von Alben und Singles aus 40 Jahre Band-Geschichte projiziert wurden. Zweites positives Signal: nach dem Domglocken-Intro betrat Niedeckens BAP die Bühne und rockte mit den Live-Hits "Frau, ich freu mich" und "Ne schöne Jrooß" gleich mal los, sodass nach 2 Takten kaum einer im Publikum noch saß. Und mit Hits wie"Nix wie bessher" und "Fortestzung folgt" ging es weiter, bevor Wolfgang Niedecken dann mit "Für 'ne Moment" seine musikalische Visitienkarte abgab und der "Jupp" musikalisch nah am Original (mit Konzertgitarren Intro und E-Gitarren Solo am Ende) von seinen Weltreisen erzählte.

Musik, Lightshow und besagte Videowürfel waren prima aufeinander abgestimmt: mal gab es zum Song passende Bilder oder Filme, Videos oder "alte" Konzertfilme desselben Songs verwendet, sodass man beispielsweise auf der Bühne Ulle Gitarre spielen hörte und sah, während im Hintergrund der "Major" oder Helmut Krumminga zu sehen waren. War schon fast ein Gesamtkunstwerk, dass auch prima als Kunstinstallation ins Karlsruher ZKM gepasst hätte.

Nach 7 Hits aus älteren Zeiten eröffnete dann "Alles relativ" einen Block von 4 Songs aus dem aktuellem "Lebenslänglich" Album. Das Publikum hatte sich insofern mit den Sitzplätzen arrangiert, dass bei schnellen Nummern gestanden und getanzt wurde (so weit möglich) und bei langsameren Nummern wieder Platz genommen wurde. Von den 4 neuen Liedern an dieser Stelle des Konzerts (neben "Alles relativ" gab es noch die "Ballade vom Vollkasko Deperado", Absurdistan und "Vison von Europa") gefiel mir live vor allem "Vision von Europa". Später sollten noch 3 weitere Songs vom aktuellen Album folgen, wie die Uptempo Nummer "Dausende von Liebesleeder", welches dann zu einem Unplugged Block, - pardon zu "Liebesliedern im Sitzen" überleitete.

Dort gab es dann den ersten Hinweis, dass WNs Teilnahme bei "Sing meinen Song" seine Spuren im Repertoire von Niedeckens BAP hinterlassen hat, hatte WN doch in dieser Sendung über den Hit "Alles em Lot" gesagt, dass er Text und Musik prima findet, das Arrangement aber furchtbar sei ("Phil Collins für Arme). Folgerichtig gab es zum ersten Mal seit langer Zeit diesen Song mal wieder live zu hören, aber in einer Art Unplugged Version. Klar durften im "Liebeslieder" Block nicht die Fan Favoriten "Jraaduss", "Paar Daach fröher" und natürlich "Do kanns zaubre" fehlen, bei dem im Publikum neben Old School Wunderkerzen auch New School mäßig Wunderkerzen-Apps auf Smartphones zum Einsatz brachte.

Den regulären Teil der Show vor den Zugaben beendeten dann die großen Hits und Live Favoriten "Kristallnaach", "Arsch huh" und natürlich "Verdamp lang her". Die Temperaturen in der Schwarzwaldhalle waren da längst im Sauna Bereich angelangt - nur ein Aufguss fehlte.

Bei den Zugaben begeistere die Band mich mit einer wunderbaren Version von "Amerika" und überraschte mich mit dem einzigen Cover an diesem Abend (statt der üblichen Verdächtigen wie Dylan oder Springsteen gab es den Xavier Naidoo Song "Was wir alleine nicht schaffen" - "Sing meinen Song" läßt also wieder grüßen).

Zum Ende wurde dann ganz weit zurück in der Bandgeschichte gegangen, "Et letzte Leed" wurde seit Jahrzehnten mal wieder angestimmt und eine glücklich wirkende Band und ein glückliches Karlsruher Publikum nach 3 Stunden 20 Minuten (!) in die laue Sommernacht zu entlassen.

Ein Wort zur Band, vor allem zu den neueren Bandmitgliedern: Ulle kann auch rocken und dabei sowohl die Songs aus der Major Ära, als auch der Krumminga Ära gut rüberbringen, ohne zu einer Kopie zu verkommen. Der neue Drummer Sönke Reich, der übrigens jünger ist, als "Verdamp lang her", konnte mich überzeugen, auch wenn das Schlagzeug mir etwas zu sehr in den Vordergrund gemischt war. 

Mein Fazit: Niedeckens BAP können also nach der Unplugged Tour auch wieder rocken. Mit den Sitzplätzen konnte ich mich einigermaßen arrangieren auch wenn zwei Nachteile blieben: zum einen ist man in seinen Bewegungsmöglichkeiten doch arg eingeschränkt und zum anderen muss man für gute Plätze deutlich mehr bezahlen als bei einer unbestuhlten oder teilbestuhlten Halle. Insgesamt aber ein sehr gutes Konzert, dass überraschenderweise neben den "beliebtesten Liedern" aus 40 Jahren Bandgeschichte auch Platz für 7 (!) Songs vom aktuellen Album bot. Hut ab vor dieser Spielzeit!

[Bilder vom Konzert gibt es hier]

BAP Ticket